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Die Nizza Jahre (1970–1980)
Gespräch im Atelier in Beckerholz im April 2005
mit Jürgen Lorenz über die Zeit in Nizza und Cabris

WF G1

 















JÜRGEN LORENZ
Als wir uns 1981 in Deinem Atelier in der «Académie de Gravure» in Cabris kennenlernten, hast Du einen Kurs in Radierung geleitet. Wie bist Du zur Kunst gekommen?

 

MAGDALENA GRANDMONTAGNE
Bevor ich mich bewusst da für entschied, wurde ich durch meine Eltern zur Kunst geführt. Ich habe früh gemerkt, dass die Kunst mein Leben bereichern würde. Ich habe mir immer einen künstlerischen Beruf gewünscht, so war auch die Entscheidung zum Kunststudium früh gefallen. Ichwollte unbedingt nach Frankreich – Nizza – da wollte ich hin! Meine recht klassische Vorstellung von einem akademischen Unterricht war schnell revidiert. In Nizza war gerade die neu erbaute Kunstschule eröffnet worden. Moderne Architektur um den historischen Kern der «Villa Arson», die Dächer begehbar und die Ateliers von neuester Ausstattung. Zu dieser Zeit wurden gerne Ausländer aufgenommen, weil in Nizza eine internationale Kunstschule entstehen sollte. Ich habe mich beworben und bin angenommen worden. Aber nicht nur die Räume der Kunstschule waren neu, auch die Inhalte des Studiums wurden in Frage gestellt. 1970 wirkten sich die politischen Unruhen der vergangenen Jahre auf alle Universitäten aus. Zeit der Erneuerungen. Mir gingen Augen und Ohren auf.

 

J. L.
Wie ist das Studium an der Kunstschule abgelaufen?

 

M.G.
Die ersten vier Semester waren eine umfassende Grundlehre. Wir hatten ebenso ein Pflichtprogramm an Kursen in Kunstgeschichte, Architektur, Urbanistik und Umwelt zu absolvieren. Das waren wirklich Jahre des Entdeckens und Lernens, die die Studieninhalte aus dem rein Künstlerischen und dem rein Ästhetischen heraushoben. Selbstverständlich war diese Grundlehre für alle Studenten verbindlich, danach musste man sich entscheiden zwischen der «Freien Kunst» und der «Angewandten Kunst».

 

J. L.
Du hast dich für die Freien Künste, speziell für Radierung entschieden!

M.G.
Eigentlich sollte ich Graphik studieren. Während eines Ferienpraktikums in einer Druckerei im Saarland gab mir ein erfahrener Graphiker einen wichtigen Rat: «Geh in die freien Künste, dann kannst du auch Graphik machen, aber wenn du Graphik studierst, wirst du nie mehr malen.» Ich habe mich dann für die «Freie Kunst» mit Radierung als Hauptfach und Malerei als zweitem Schwerpunkt entschieden.Die Radierung hat so etwas sicheres, handwerkliches, anwendbares. Die Professoren Maillard und Wong waren echte «Graveurs» im strengen Sinn. Bei ihnen habe ich alle klassischen Techniken der Radierung, des Hoch- und Tiefdrucks und die Druckverfahren erlernt. Bei Wong wurde man gedrillt, eine Platte so zu ritzen und zu drucken, dass sie eine gewisse Auflage hergab, die dann um so besser bewertet wurde, je identischer die einzelnen Abzüge waren. Die hohen Anforderungen meiner Fachlehrer an technisches Können und die Suche nach Perfektion prägten für immer meinen Maßstab für Qualität. Aber meine Untersuchungen, eine Linie in die Platte zu kratzen oder zu ätzen und dann so tief zu graben und mit so viel Farbe auszufüllen, bis sie beim Drucken überläuft, das war für Professor Wong ein unerträglicher Unfall. Mich hatte aber gerade das interessiert! In dieser Zeit des Forschens ist die Grundlage gewachsen, auf der meine Arbeit bis heute aufbaut: das Sichtbarmachen von materieller Wirklichkeit.

 

J. L.
Entscheidend für Deine künstlerische und intellektuelle Prägung waren allerdings andere Einflüsse!

 

M.G.
Die Professoren der Malerei Daniel Dezeuze und Noël Dolla lösten die Impulse aus, die für meine gesamte Weiterentwicklung ausschlaggebend waren. Sie förderten mich auf meinem Weg beim Loslösen aus den Zwängen der Illustration und der Vervielfältigung. Die Fähigkeit, den Dingen forschend auf den Grund zu gehen, habe ich in dieser Zeit gelernt. Pierre Chave, Professor für Lithographie, war ein Lehrer der Präzision und der Feinheiten und zwar im bildnerischen wie auch im geistigen Sinne. Edmond Vernassa unterstützte meinen Drang zum Experiment. Ich konnte in seinem Atelier arbeiten, ich lernte dort den Maler Angeletti kennen, erlebte die Begegnungen und die Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Maeght, durfte für Miró (!) Farben mischen, schaute mit César bei der Herstellung seiner Kompressionen auf der riesigen Presse zu. Diese Jahre waren auch Jahre des alltäglichen und selbstverständlichen Umgangs mit Künstlern, es war ein Leben in der Kunst als Mittelpunkt, eine endgültige Entscheidung. Nach 10 Semestern, 1975, schloss ich mein Studium mit dem «Diplôme National des Beaux Arts» ab.

 

J. L.
Was war nach Deinem Diplom, wie findet man den Weg vom Kunststudium zu einem Beruf?

 

M.G.
Zunächst arbeitete ich in einem Zentrum für geistig und körperlich behinderte Kinder im Hinterland von Nizza. Wie intensiv ich diese Zeit erlebt habe, merke ich daran, dass die Erinnerung heute noch äußerst lebendig ist. Tiefe Erlebnisse, die nach der Studienzeit meine Lebenserfahrungen um einiges ergänzt haben. Aber mein Weg führte zurück zur Kunst. 1976 wurde eine Ruine auf den Höhen der Stadt Nizza zum ersten Wohnhaus und Atelier umgebaut, wo ich bis 1980 lebte und arbeitete. Schon während des Studiums hatte ich von dem Künstler Richard in Villefranche-sur-Mer eine alte «Mandelli»-Presse erworben, die baute ich nun in meinem Atelier auf. Manchmal kamen auch Künstlerfreunde und haben das Atelier mitbenutzt, ich bekam Lust am gemeinsamen Arbeiten. Diese Jahre in Nizza waren eine Suche nach einem persönlichen und beruflichen Weg.

 

J. L.
Wie sollte eine Existenz aussehen, wo Du Deine Fähigkeiten einsetzen konntest und die gleichzeitig genug Freiraum bot für Deine eigene Arbeit?

 

M.G.
Es wuchs die Idee, die mich nicht mehr losließ: das Vermitteln von Kenntnissen zu einem Beruf zu machen, von dem ich leben würde. Es bedeutete ein großes persönliches Engagement, dies in meinem eigenen Atelier anzubieten. Ich hatte die Vorstellung, sowohl mit Künstlern zu arbeiten, denen ich technische Hilfe leisten würde, als auch Studenten und andere Interessierte in Seminaren und Kunstkursen zu unterrichten. Ich begann, mich nach einem Atelier mit Unterbringungsmöglichkeiten im Haus umzusehen.

 

 

 

Cabris 1980 – 2000
Académie de Gravure

 

WF G2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

JÜRGEN LORENZ
Wie war der Beginn Deines neuen Kapitels?

 

MAGDALENA GRANDMONTAGNE
1980 war der Umzug nach Cabris bei Grasse, in den «Mas du Naoc», ein provenzalisches Land haus aus dem 18. Jahrhundert. Dies war eine ideale Umgebung, der Ort, der den Anforderungen entsprach und genug Raum bot, um auch Gruppen aufzunehmen. Die Gründung der «Académie de Gravure» war dann der anvisierte Schritt in die Selbständigkeit. Bereits im ersten Jahr konnte ich mit den Kursen beginnen. Die Resonanz war gewaltig: Ich erhielt Zuschriften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Über viele Jahre war der größte Teil des Sommers den Kursen gewidmet. Der «Mas du Naoc» wurde zu einem Ort der Begegnung mit Künstlern und Studenten und veränderte mein Leben, denn durch das Lehren an der «Académie de Gravure» musste ich auch eine Sprache finden, die den Aufgaben des Vermittelns entsprach.

 

J. L.
Hattest Du für diese Kurse ein Programm?

 

M.G.
Ja, verschiedene Programme für unterschiedliche Niveaustufen und Bereiche. Das Wichtigste waren mir immer die Radierkurse. Selten stellen Künstler ihre fragilen Pressen und Werkzeuge zur Verfügung. Dieses wurde meine Stärke, weil ich eine komplett eingerichtete Radierwerkstatt anbieten konnte, die mittlerweile um eine zweite Presse erweitert war. Francois Dezeuze hat diese Presse gebaut und installiert, mit der großformatige Drucke möglich waren.

 

J. L.
Mein Eindruck des Kurses war auch bleibend positiv. Ich hatte im Jahr 1981 im Kunstmagazin ART gelesen, dass man bei Dir radieren konnte. Radieren hat mich immer fasziniert, ich hatte auch Platten angefertigt. Drucken konnte ich sie aber nicht, weil ich die Druckpresse der Kunstschule ausserhalb des Lehrprogramms nicht benutzen durfte. Vielleicht waren dem Meister die Platten auch handwerklich nicht perfekt genug. Im Kurs bei Dir durfte ich endlich an die Druckpresse und war dabei ganz glücklich.

 

M.G.
Zu den Radierkursen kamen selbstverständlich die Zeichenkurse dazu, und sehr gefragt war die Aquarellmalerei. Zum Malen war die Gegend einfach ideal, diese einmaligen Perspektiven, die Farben, das Licht . . . Sehr wichtig waren mir auch die Kontakte zu den Künstlern und die Teilnahme am kulturellen Leben der Region. Einmal in der Woche habe ich mit den Studenten ein Museum oder die Fondation Maeght besucht. Ich bin mit ihnen zu Vernissagen in Galerien in Nizza und Umgebung gefahren, Künstlerwurden zu uns eingeladen oder wir haben sie im Atelier besucht. Für die Kursteilnehmer war das etwas Besonderes. Erinnere Dich an das Treffen mit Ferdinand Springer, beim letzten Mal war er beim Osterkurs 1998 zu Besuch.

 

J. L.
Kannst Du etwas über Ferdinand Springer sagen?

 

M.G.
Ferdinand Springer war mir Vorbild und väterlicher Freund. Ich lernte ihn während meines Studiums als Meister des zeitgenössischen Kupferstichs kennen. Von ihm erlernte ich die Technik, wie in einem Durchlauf in mehreren Farben gedruckt werden kann, so wie er es im Atelier bei Hayter in Paris gelernt hatte. Ab 1980 wurden wir Nachbarn, dann Kollegen und Freunde. Wir besuchten uns gegenseitig und regelmäßig, wir arbeiteten zusammen im Atelier und machten Fahrten ins Hinterland. Ich beobachtete bei Springer zum ersten Mal aus der Nähe eine Teilung im künstlerischen Schaffen in ein streng abstraktes, graphisches Werk und eine immer gegenständlicher werdende Malerei. Ferdinand Springer war ein sehr toleranter Mensch. Ich habe von ihm gelernt, die Vielfalt der Ausdrucksweisen in der Bilden den Kunst anzunehmen. Bei all den unterschiedlichen Erwartungen meiner Schüler war Dogmatismus fehl am Platz. Ich konnte in meinen Kursen meist erst nach ein paar Tagen das Programm und die Ansprüche einander anpassen. Oft hieß das zunächst auch mit einfachen Mitteln zu beginnen, zum Beispiel mit Monotypie auf die Radierung vorzubereiten.

 

J. L.
Dein Eingehen auf die Stärken der Teilnehmer kann ich bestätigen. Ich hatte als erstes Platten mit Proben verschiedener Techniken gemacht. Und bei dem Teil, der mir meiner Meinung nach gelungen war, sagtest Du: Dieses hier ist am Besten, machen Sie mal dieses hier.

 

M.G.
Es ging ja nicht so sehr darum, fertige Bilder nach Hause mitzunehmen. Der Wert dieser Kurse war, wirklich etwas zu lernen. Das perspektivische Sehen oder die positiv-negativ Spiegelung beim Drucken brachten für manche Probleme. Wenn ich die Schwierigkeiten erst mal erkannt hatte, konnte ich auch weiterhelfen. Natürlich war es wunderbar, zwei Wochen miteinander zu verbringen, man hatte Zeit, sich in mitunter langen Gesprächen kennen zu lernen.

 

J. L.
Wie hast Du alle diese Rollen erfüllen können: die Organisation der Kurse, das Essen für die Teilnehmer, die Ausflüge und Museumsbesuche usw. usw.?

 

M.G.
Die Kurse inhaltlich, aber auch organisatorisch zu bewältigen war eine interessante Aufgabe. Kochen ist ja in Südfrankreich eine Freude, finde ich, und nach zwei, drei gemeinsamen Mahlzeiten ist man an einem anderen Punkt. Ich habe mir da ein Tempo angewöhnt und bis heute beibehalten. Also, manches muss man simultan machen. Mir fällt das relativ leicht, und ich mache das alles sehr gerne.

 

J. L.
Wieviel Platz blieb Dir dabei für Deine eigene Kunst?

 

M.G.
Da musste ich eine Zeit lang zurückstecken. Die Suche nach «l‘Art pour l‘Art» aufgeben, auf Distanz gehen zum bisherigen Umfeld und den Einflüssen der Kunstschule. Meine eigene Position hat sich verändert, ich musste auf den Boden zurück, Fuß fassen in einer neuen Situation. Ich drehte das Vergrößerungsglas um, so dass es zum Fernglas wurde. Für einige Zeit packte ich die Radiernadel weg und den Aquarellkasten aus.Das Naheliegende passierte: ich benutzte die umgebende Natur. Die Felsformationen in meinem Garten und die greifbare Landschaft wurden zu Motiven für Frottagen auf Papier und Leinwand, es begann eine neue Phase, geprägt durch meine Situation. Pigmente, die ich vor Ort fand brachten Farbe in meine Arbeit. Erst 1986 fand ich eine Fortsetzung meiner Radierungen. Ich verließ die sichere Nähe des Ateliertisches, vorbei war die Zeit der über die Radierplatte gebeugten Haltung. Es entstanden die Steinabdrücke auf Metall. Die Inhalte wurden assoziativer, die Formate größer. Ich begann, die Platten aufzubrechen und arbeitete stehend, mit größeren Werkzeugen und entsprechender Kraftanwendung.

 

J. L.
Du arbeitest viel mit Metall. Warum das?

 

M.G.
Weil es eine Herausforderung ist und weil es auch richtig schwer ist, weil es Kraft und Mühe verlangt und ganz viel Willen.

 

J. L.
Das heißt, das Metall setzt Dir einen Widerstand entgegen?

 

M.G.
Ja, und zwar mehr als Karton oder Holz, die wohl interessante Eigenstrukturen haben und die auch im Bild erscheinen. Was mich an der Radierung auf Metallplatten fasziniert hat, das war zunächst dieses Kratzen, das ich auch höre, das Ätzen mit der Säure, die ich rieche, die Rauheit der Oberfläche, die ich spüre.Prinzipiell habe ich mich für das Metall entschlossen, weil es so vielseitig und so schön schwierig ist.

 

 

 

Beckerholz ab 1990
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WF G3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Jürgen Lorenz
Ich sehe Dich heute wieder in der friedlichen Ruhe eines Bauernhofes im lothringischen Dorf Beckerholz.

 

Magdalena Grandmontagne
Hier fand ich 1990 ein Zuhause und die großzügigsten Umstände zum Arbeiten. Es dauerte aber noch 10 Jahre, bis ich das Pendeln zwischen meiner Wahlheimat Côte d‘Azur und meiner neuen, alten Heimat, der Grenzregion Saarland – Lothringen, beendete und mich von Cabris trennen konnte.

 

J. L.
Was hat sich daraus entwickelt?

 

M.G.
Arbeiten im öffentlichen Raum sind eine neue Erfahrung für mich. Konfrontation mit dem Umfeld heißt, mit meiner Bildsprache auf eine äußere Situation eingehen. So können Themen wie «Stadtgeschichte» oder «Friedenszentrum» die erstrebte Einbindung von Kunst in das Leben unter Beweis stellen Die Einheit von Kunst und Leben bleibt die hohe Erwartung, die ich hege. Aufnehmen und Verändern von materieller Realität in meiner Kunst ist weiterhin mein Thema. Auch die Arbeiten mit dem Medium Tanz bedeuten Aneignen von Wirklichkeit. In den Performance-Arbeiten entstehen die Bildgrundlagen zum Thema «Bewegung und Zeit». Ich nehme diese materialisierten Spuren auf meinen Bleiplatten mit in mein Atelier und entwickle daraus die Serien der Abdrücke.

 

J. L.
Es scheint mir, daß Du hier angekommen bist.

 

M.G.
Dieser Ort ist auch ein innerer Mittelpunkt. Mein Atelier erfüllt das Bedürfnis nach Rückzug und schöpferischer Isolation. Hier finde ich die Ruhe und die Zeit, die ich für meine Arbeit brauche. Das Atelier ist auch ein Ort der Kommunikation. Hier kann ich meine Kunst schaffen und ich kann sie präsentieren.

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